Jederzeit abrufbereit
Ulf Buschmann Osterholz-Scharmbeck. Wer sich mit einem Notfallsanitäter unterhalten möchte, muss auf Unvorhergesehenes gefasst sein. Schließlich kann es immer passieren, dass der Funkmeldeempfänger Alarm gibt. Dann heißt es, alles stehen und liegen lassen, den Rettungswagen besteigen und ausrücken – je nach Meldung mit oder ohne Alarm. Das ist auch Kevin Kracks Alltag – nur an diesem Tag nicht. „Ich habe diese Woche Urlaub“, sagt der 23-Jährige. Und damit Zeit für ein Gespräch mit der Redaktion.
Seit dem Jahr 2015 ist Kevin Krack für seinen Arbeitgeber, dar Osterholzer Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), unterwegs. Krack gehört zum zweiten regulären Ausbildungsjahrgang. Denn Notfallsanitäter ist erst seit 1. Januar 2014 ein anerkannter Ausbildungsberuf. Wer also vor diesem Datum beschloss, im Rettungsdienst sein Geld zu verdienen, hatte nur die Möglichkeit, zusätzlich zu seiner Erstausbildung eine Qualifizierung zum Rettungsassistenten, oder -sanitäter zu machen. Es gibt auch noch den Rettungshelfer, doch im hauptamtlichen Bereich ist dieser Beruf so gut wie ausgestorben.
„Für mich war klar, dass ich etwas Medizinisches machen möchte“, sagt Kevin Krack. Sein Interesse daran habe die Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) Osterholz geweckt. Dort ließ er sich zum Sanitätshelfer ausbilden. Eigentlich sollte es nach dem Abitur ein Medizinstudium sein. Allerdings konnte Kevin Krack die Hürde der in Deutschland noch immer geltenden, seiner Meinung nach unangepassten Zugangsbeschränkungen, den Numerus Clausus, nicht überwinden. Plan B trat daher in Kraft: Die Ausbildung zum Notfallsanitäter. Doch das Ziel, irgendwann Medizin zu studieren, hat Kevin Krack nicht aufgegeben. Bis dahin heißt es, Menschen zu helfen und durch viele Fortbildungen das eigene Wissen zu mehren. „Medizin ist ein dynamischer Prozess“, sagt der 23-Jährige.
Dass er die Möglichkeit bekam, beim Roten Kreuz Osterholz anzufangen, sei ein Zufall gewesen, erzählt Kevin Krack. „Ich hatte mich in Verden und Stade beworben“, verrät er. "Auf dem Rückweg vom Vorstellungsgespräch in Verden sind wir hier vorbeigekommen." Er und seine ihn begleitende Mutter hätten einfach mal gefragt, dann war alles klar: Kevin Krack wird einer der im Landkreis beziehungsweise beim Roten Kreuz Osterholz ausgebildeten Notfallsanitäter.
Sein beruflicher Alltag ist weit von den aus Fernsehserien und Kinofilmen bekannten Actionszenen entfernt. Er rase nicht täglich mit quietschenden Reifen zu lebensbedrohlichen Notfällen. Vielmehr sind Kevin Krack und seine Kollegen meistens für Menschen mit kleinen Wehwehchen zur Stelle. „Das ist der Anruf um 3 Uhr nachts wegen eines Schnupfens“, berichtet der junge Notfallsanitäter. Und fügt hinzu: „Viele wissen leider nicht, wozu die Notrufnummer 112 da ist.“
Meistens stelle sich erst an der Einsatzstelle heraus, ob es wirklich ein Notfall ist oder nicht. Wenn Kevin Krack bei den Hilfesuchenden ist, spielt das für ihn und seine Kollegen keine Rolle. „Ich versuche, jeden gleich zu behandeln“, sagt er. Dabei ist es nicht mit der Behandlung von Menschen und der Versorgung von Wunden getan. „Hinter jedem Fall steckt ein Schicksal“, sagt der 23-Jährige. Das treffe auch auf die Angehörigen zu: Der Rettungsdienst muss sich auch um sie kümmern. Zum Beispiel so lange, bis ein Notfallseelsorger vor Ort eintrifft. „Man wird sich bewusst, wie schnell sich unabhängig vom Alter alles im Leben ändern kann“, fasst Kevin Krack seine bisherigen Berufserfahrungen zusammen.
Dass nicht nur die Medizin an sich ein dynamischer Prozess ist, sondern auch das Geschehen drumherum, hat der Osterholzer Notfallsanitäter ebenfalls in seinem Beruf gelernt. So habe vor allem die Einsatzfrequenz zugenommen. Nicht umsonst habe der Landkreis Osterholz als sogenannter Aufgabenträger des Rettungsdienstes an der Wache Osterholz-Scharmbeck einen zweiten Rettungswagen in Dienst gestellt, der an sieben Tagen rund um die Uhr im Einsatz ist. Auf diesem sowie dem zweiten Rettungswagen leistet Kevin Krack meistens seinen Dienst an der Allgemeinheit, aber auch als Fahrer des am Kreiskrankenhaus stationierten Notarzteinsatzfahrzeugs (NEF) sowie als Springer an den Wachen in Schwanewede, Lilienthal und Hambergen.
Durch die Corona-Krise habe es indes eine Trendwende gegeben: Die Einsatzfrequenz habe abgenommen, so Krack. „Die Patienten haben Angst, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden“, erklärt er diese Entwicklung. Sie würden das Hospital genauso wie Pflegeheime als einen möglichen Ort betrachten, wo sie sich mit dem Virus infizieren könnten.
Auch die Art der Einsätze habe sich verändert, erzählt Kevin Krack. Als er 2015 mit seiner Ausbildung begonnen habe, seien er und seine Kollegen meistens zu echten Notfällen ausgerückt. Inzwischen hingegen würden sich Notfalleinsätze und solche, die kein echter Notfall sind, die Waage halten. Stichwort: Anruf nachts um 3 Uhr wegen Schnupfen.
Eigentlich liebt Kevin Krack seinen Beruf als Notfallsanitäter. Aber es gibt da etwas, was ihm und seinen Kollegen sauer aufstößt: Sie bewegen sich in Sachen Medikamentengabe in Notfallsituationen im rechtsfreien Raum. Laut dem am 1. Januar 2014 in Kraft getretenen Notfallsanitätergesetz dürfen die Vertreter ihrer Zunft bei der Erstversorgung von Patienten „in besonderen Fällen“ zu Medikamenten greifen. Welche es sind, muss definiert werden.
Vor allem Vertreter der Ärzteschafte würden, so berichten die Medien, dagegen Sturm laufen, den Notfallsanitätern mehr Rechte einzuräumen. Sie würden eine Verschlechterung der Versorgung von Notfallpatienten befürchten. Kevin Krack hält auch im Namen seiner Kollegen dagegen. Einerseits gehöre die Medikamentenkunde zur Notfallsanitäterausbildung, andererseits falle das Verabreichen unter das Heilpraktikergesetz. Das bedeutet, nur Ärzte und Heilpraktiker dürfen bestimmen, welche Medikamente wann einzusetzen sind. „Das ist nicht zufriedenstellend“, findet Kevin Krack: „Die Politik muss reagieren.“ Vor allem müssten die Notfallsanitäter von der persönlichen Haftung befreit werden. Nach aktueller Rechtslage kann ein Notfallsanitäter nämlich bei falscher Behandlung mit seinem kompletten Vermögen zur Rechenschaft gezogen werden.
Kevin Krack macht keinen Hehl daraus, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rettungsdienstes bundesweit frustriert sind. Die Stimmungslage brachte der im Landkreis Osterholz geborene Felix Haehne alias Felix Peter Ende vergangenen Jahres mit seinem Song „Der Krankenwagenbelademeister“ zum Ausdruck. Darin beschreibt er das Problem seines Berufsstandes und traf damit einen Nerv. Was ursprünglich von Haehne als Belustigung für seine Kollegen gedacht war, entwickelte sich zum Internet-Hit.
Wie die Lage auf dem Land ist, hat Kevin Krack erst vor Kurzem bei einem Einsatz in Worpswede erlebt: Er und ein Kollege waren zu einem Oberschenkelhalsbruch gerufen worden. Für einen Patienten sei dies eine sehr schmerzhafte Angelegenheit, erzählt der Osterholzer Notfallsanitäter. Die entsprechenden Medikamente darf aber auch in solch einem Fall nur der Notarzt anordnen oder selbst verabreichen. Der Mediziner sei allerdings erst 30 Minuten nach dem Rettungsdienst an der Einsatzstelle eingetroffen. Für Kevin Krack und seine Kollegen eine mehr als unangenehme Situation: „Patienten und Angehörige glauben, wir sind nicht kompetent“, so Krack.
(Quelle: Osterholzer Kreisblatt - 10.10.2020)